Vermutlich verbergen sich die letzten unerforschten Flecken der Erde in ihrem Innern. Dort, tief unter der Oberfläche kann ich meinen Forscherdrang ausleben, dort winkt noch die Chance, als erster Mensch einen neuen Fleck zu entdecken und ihm einen Namen zu geben. Auf einer Höhlenexkursion erlebt man aber auch Einsamkeit, Stille und totale Entschleunigung. Es gibt viele Gründe, einen Blick in die Unterwelt zu wagen.

Terra incognita im Toggenburg

Seit bald zwanzig Jahren bin ich Mitglied der Toggenburger Gesellschaft für Höhlenforschung. Unser bevorzugtes Forschungsobjekt liegt eine gute Autostunde von meinem Wohnort Zollikon im oberen Thurtal. Es ist Ende März und wir wollen nochmals in die Höhle einsteigen, bevor auf 2000 Meter Höhe die Schneeschmelze einsetzt – dann steigt das Risiko eines Wassereinbruchs in der verborgenen Welt der Churfirsten. Meine drei Kollegen und ich reisen am Vortag an und steigen die rund 600 Höhenmeter zu Fuss in eine einfache Alphütte, wo wir unser Basiscamp eingerichtet haben. Die ganze Ausrüstung, Proviant sowie Übernachtungsutensilien müssen dort hochgebuckelt werden. Es gehört zum Höhlenforscherkodex, dass wir als Entdecker den genauen Standort «unserer Höhle» nicht verraten, bis sie vollständig erkundet und dokumentiert ist. Gemeinsam kochen wir ein einfaches Znacht, danach kriechen wir in die Schlafsäcke.

Höhlenforschen ist nichts für Warmduscherinnnen und Langschläfer: Bereits um 4 Uhr klingelt der Wecker. Es gibt Katzenwäsche, Kaffee und einen Kraftriegel, dann begeben wir uns im Licht der Stirnlampen zum Einstieg. Es ist bereits die vierte Expedition in diesem Winter. Bei der letzten Begehung haben wir in der Höhle einen schmalen Durchstieg entdeckt, welchen wir heute erweitern und durchqueren wollen. Falls unsere Theorie richtig ist, werden wir dahinter einen neuen Gang entdecken, welche hoffentlich reich an Entdeckungen ist. Das Gold der Höhlenforscher sind seltene Gesteinsformationen und Ablagerungen. In unserer Höhle hoffen wir auf Kalkablagerungen, sogenannte Versinterungen, zu stossen.

Versinterungen belohnen die Entdecker

Kalksinter bildet sich durch Ausscheiden (Kristallisation) von in Wasser gelösten Kalzium. Es bilden sich krustenförmige Überzüge in vielfältigen Formen. Solche Ablagerungen können sich auch in Höhlen finden. Die Vorkommen gehen dabei von dünnen Häutchen bis zu mächtigen, farbigen Steinbänken mit bizarren Formen.  Im Toggenburg sind schöne Versinterungen eher selten.

Zu unserem Stolz bildet unsere Höhle in dieser Hinsicht eine Ausnahme. Nachdem wir die Engstelle erfolgreich durchkrochen haben, öffnet sich wie erhofft ein eindrückliches Wunderwerk der Natur. Die Kammer ist ungefähr 30 Quadratmeter gross und kaum 2 Meter hoch. Im Schein unserer Stirnlampen zeigen sich Vorhänge aus filigranen Kalk-Zapfen, die von kristallklar bis schneeweiss glitzern. Vorsichtig winden wir uns an ihnen vorbei und der Gedanke, wir könnten die ersten sein, welche diese spektakulären Ablagerungen zu Gesicht bekommen, erfüllt uns mit Stolz und Ehrfurcht.

Mindestens ebenso freudvoll entdecken wir einen weiteren Gang, der uns anzeigt, dass das System hoffentlich noch lange nicht fertig erforscht ist und weitere Überraschungen für uns bereithält.

Unsere Gesellschaft braucht Höhlenforscher-Spirit

Unter der Erde finde ich Zeit und Musse, über mein Tun und mein Engagement als Milizpolitiker nachzudenken. Und über solche Blog-Beiträge, mit welchen ich mich bei meinen Kolleginnen und Kollegen, politisch Interessierten und Sympathisantinnen ab und zu bemerkbar machen will. Auf den ersten Blick hat meine Höhlenforscherei wenig oder nichts mit Politik zu tun. Ausser vielleicht dem folgenden Gedanken:

Wir leben in einer sicheren Welt, in einem beruhigenden Wohlstand mit sehr überschaubaren Risiken. Die meisten von uns verbringen ihre Tage in einem geheizten Büro vor einem Computer. Aber die Arbeitswelt verändert sich rasant. Zahlreiche niederqualifizierte Tätigkeiten im Dienstleistungssektor wie First Level Support und Telefonzentralen könnten in wenigen Jahren durch künstliche Intelligenzen und sogenannte Chatbots ersetzt werden. Diesen massiven Veränderungen mit Bequemlichkeit zu begegnen, scheint mir fatal. Es ist, als warte man in der warmen Stube, bis der Feind vor der Tür steht, sodass jede Verteidigung zum Vornherein zwecklos ist.

Wir sind gefordert, die gesellschaftlichen, arbeitspolitischen und wirtschaftlichen Veränderungen aktiv anzugehen. Es gilt einerseits die eigene Forschung zu entwickeln und zu fördern, um selbst solche Dienste anbieten zu können. Die Robotisierung des Dienstleistungssektors ist für unsere Volkswirtschaft eine riesige Chance. Aber wir müssen die Herausforderung mit der nötigen Dringlichkeit aktiv und offen angehen, geradeso, als wollten wir eine Höhle erkunden. Wir müssen unsere innovativen Kräfte stärken und nach Lösungen zu suchen, wie unsere hochentwickelte Volkswirtschaft auch diesen nächsten Paradigmenwechsel überwinden kann, um auch ein digitales Zeitalter gestärkt und mit geradem Rücken anzugehen.

Quellen:

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