Junge Erwachsene sind heute in den Behördenämtern massiv untervertreten. Das Alterssegment ist mit nur gerade 5.6 % in den Gemeindeexekutiven kaum präsent. Neben der zeitlichen Beanspruchung, spielt dabei auch das politische Grundwissen und die Angst sich zu exponieren eine Rolle. Dass die politischen Parteien nur etwa die Hälfte von ihnen zu erreichen vermag, erleichtert die Aufgabe nicht.

Es ist eine wichtige Arbeit, welche Curdin Derungs und Dario Wellinger von der HTW Chur in den letzten Wochen der Öffentlichkeit vorgestellt haben. Die Studie setzt sich einerseits aus persönlichen Interviews mit Behördenvertretern und Verwaltungsmitarbeitenden sowie aus einer repräsentativen Umfrage mit 1005 jungen Erwachsenen zusammen. Herausgekommen ist eine Arbeit, die das Thema fundiert ausleuchtet und Anleitung, Anregungen und Empfehlungen abgibt, wie das Malaise behoben werden könnte.

Eine Herausforderung für das Milizsystem

Das wichtigste Alterssegment in den Behördenämtern sind heute die Babyboomers. Wenn sie in wenigen Jahren in Rente gehen, werden sie voraussichtlich eine grosse Lücke in den Behördenbeständen der Gemeinden hinterlassen. Zwar nimmt das Engagement erfahrungsgemäss mit der Festlegung des Lebensmittelpunkts ab Mitte Dreissig zu, dennoch sollte sich die Politik dem Problem stellen, solange die Möglichkeit besteht, steuernd einzugreifen. Es zeigt sich, dass heute zahlreich junge Frauen und Männer zwar ein Interesse an einer politischen Tätigkeit haben, jedoch zur Mehrheit keine Ahnung haben, wie sie eine solche Karriere anpacken sollen. Insofern ist der schwache Anteil an jungen Behördenmitglieder auch ein hausgemachtes Problem: Wie will man in einer Gemeinde politisieren, wenn man nur eine vage Ahnung hat, welche Aufgaben sie hat und wie der Auftrag an den Gemeinderat lautet. Nur so ist auch erklärbar, warum  die meisten den öffentlchen Auftritt scheuen, aber ihre administrativen und digitalen Fähigkeiten in den den Rat einbringen möchten. Für mich klingt das doch eher nach einem Job in der Verwaltung. Trotzdem sollte folgenden Fragen nachgegangen werden: Wie können junge Erwachsene für (Gemeinde-)Politik interessiert werden? Wie können sie erreicht und zu einer Kandidatur motiviert werden? Und wie kann oder muss die Politik reformiert werden, damit sie auch künftig milizfähig bleibt?

Das Interesse ist vorhanden

Eine gute Nachricht vorweg: Immerhin 77% der Befragten interessieren sich wenigstens etwas für Politik. Entgegen der landläufigen Meinung ist auch die Bereitschaft, sich in seiner Wohngemeinde zu engagieren grösser als jene auf kantonaler oder Bundesebene. Ein grosses Hemmnis für eine konkrete Kandidatur ist, dass rund 71% der Befragten bekennen, über wenig bis keine politische Bildung zu verfügen. Dazu passt, dass nur gerade 20% der Befragten jemals an einer Gemeindeversammlung teilgenommen haben. Auch die Aussage, dass rund 80% der Befragten keine Ahnung haben, wie man sich für ein Behördenamt bewirbt, spricht eher für ein laues Interesse. Andererseits ist es die Realität, dass zwei Drittel der aktiven Gemeindebehörden auf Anfrage der Partei, eines Vereins oder von einzelnen Exponenten für eine Gemeinderatstätigkeit angesprochen wurden. Anders ausgedrückt: Nur gerade ein Drittel der Bewerberinnen und Bewerber wird selber aktiv und meldet aus eigenem Antrieb eine Kandidatur an. Potenzielle Kandidatinnen und Kandidaten interessieren sich übrigens am meisten für die Ressorts Bildung, Soziales, Sport und Freizeit, Umwelt, Kultur und Gesundheit (s. Grafik).

 

Wie wird Politik spannend?

Die Studie ist für mich auch ein Stück Verhaltensforschung. Offensichtlich ist die Politik ein Fachgebiet, welches seine Qualität offenbar nur jenen offenbart, die Bereitschaft zeigen, sich damit auseinanderzusetzen. Natürlich kann man Faulheit und Bequemlichkeit der Jugend geisseln,  aber wenn fast drei Viertel der Befragten wenig oder gar nichts über Politik und demokratische Prozesse wissen, frage ich mich schon, ob nicht versucht werden sollte, dieses Wissen ernsthafter aufzubauen und zu pflegen? Es geht ja nicht nur um das Wahrnehmen von öffentlichen Ämtern, sondern auch um die politische Meinungsbildung, um die Teilhabe an Gemeindeentscheiden und um die Stimm- und Wahlbeteiligung. Hier liegt eine grosse öffentliche Aufgabe, die auf allen Ebenen gepflegt werden muss: In der Volksschule und der Oberstufe, in der Aus- und Weiterbildung: Offensichtlich gibt es hier ein Wissensvermittlungspotenzial, das auf den Radar der Bildungspolitik gehört. Aber auch Verwaltung, Behörden und Parteien sind gefordert, mehr Anstrengungen zu unternehmen, um ihr Geschäft verständlich, sichtbar und attaktiv zu vermitteln.

Konkrete Massnahmen

Die Gemeinden haben aus meiner Sicht durchaus Möglichkeiten, junge Erwachsene durch gezielte Massnahmen konkret für den politischen Prozess zu gewinnen. Die Autoren der Studie führen als denkbare Massnahmen Zukunfts-Workshops, begleitende Kommissionen, Jugendsessionen, Mitwirkungstage oder Projektgruppen an, mit welchen die Zielgruppe einen niederschwelligen Einstieg in die politischen Prozesse gewinnen könne. Fast grundlegender scheint mir der Vorschlag, dass die Gemeinden besser kommunizieren und aufzeigen, wo Gemeindepolitik etwas bewegen kann. Ein dritter Ansatz besteht darin, die Behördentätigkeit attraktiver zu machen, indem die Verwaltung die Entscheide zuhanden der Entscheidungsträger noch besser vorbereitet, der zeitliche Aufwand reduziert, die Entschädigungen erhöht und die Vereinbarkeit mit Familie und Beruf verbessert werden. Die besten Resultate erzielen Gemeinden  in der Praxis  jedoch mit Findungskommissionen, der Verkleinerung der Gemeindeexekutive sowie der Reduktion des zeitlichen Aufwands. Ob sich diese Aussagen sich nur auf die Zielgruppe junge Erwachsene bezieht oder allgemein für die Rekrutierung von Behördenmitgliedern gilt, geht nicht eindeutig aus dem Studienbericht hervor.

Persönliche Einschätzung

Wenn von 832 000 jungen Schweizerinnen und Schweizern zwischen 19 und 35 nur 760 Köpfe oder ein knappes Promille in den Gemeindeexekutiven sitzt, wirkt das schon sehr bescheiden. Der Lebensmittelpunkt wird allerdings häufig erst ab Mitte 30 gewählt; häufig steigt mit diesem Schritt das politische Interesse und die Bereitschaft, sich in der Gemeindepolitik zu engagieren. Insofern ist es verdankenswert, dass die Studie das Thema anspricht. Alarmierend sind die Resultate für mich nicht. Trotzdem scheinen mir gewisse Massnahmen bedenkenswert, um sicherzustellen, dass unser politisches System und die Milizbehörden weiterhin eine gesunde Basis haben. Persönlich nehme ich die Studie als Ansporn, um in meiner Tätigkeit Anreize zu schaffen, Wissen, Information und Teilhabe am politischen Prozess auf allen Ebenen besser zu vermitteln. Mit konkretem Bezug auf die Behördenämter glaube ich, dass heute junge Erwachsene, vor allem auch junge Frauen, sehr intakte Wahlchancen haben, wenn sie denn eine Kandidatur einreichen. Für eine solche darf auch den potenziellen Nachwuchspolitikern ein Gang auf die Gemeinde oder eine Anfrage bei einer Ortspartei zugemutet werden. Wer es nicht versteht aus eigener Initiative zu handeln, hat aus meiner Sicht in der Politik nichts verloren.

Quellen

HTW Chur – Studie PROMO 35

PROMO 35 – Ideen und Stossrichtungen

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